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Louis Machia, der erste Zeuge der Anklage, trat in den Zeugenstand und wurde vereidigt. Machia war treuer Soldat in Cavellos Klan gewesen. Er war groß und breitschultrig, hatte dichtes schwarzes Haar und trug ein graues Golfhemd.
Mit einem freundlichen Lächeln blickte er zu
den Geschworenen und zur Presse, doch in Richtung Cavello kein
einziges Mal.
»Guten Morgen, Mr. Machia«, begrüßte ihn US-Staatsanwalt Joel
Goldenberger, während er sich erhob.
»Morgen, Mr. Goldenberger.«
»Können Sie uns Ihre gegenwärtige Adresse mitteilen, Mr. Machia?«,
bat Goldenberger.
»Meine gegenwärtige Adresse ist das Bundesgefängnis. Leider kann
ich nicht verraten, welches.«
»Ein Bundesgefängnis?« Der Staatsanwalt nickte. »Dann wurden Sie
also, um es den Geschworenen zu verdeutlichen, wegen eines
Verbrechens verurteilt?«
»Wegen vieler Verbrechen. Ich habe im Sinne der Vereinbarung 509
alle zugegeben.«
»Können Sie uns diese Verbrechen beschreiben? Wessen haben Sie sich
schuldig bekannt?«
»Alle?« Machia kicherte. »Das würde aber lange dauern.«
Im Gerichtssaal wurde laut aufgelacht. Auch auf der
Geschworenenbank. Selbst Richterin Seiderman legte eine Hand vor
den Mund, um ein Lächeln zu verbergen.
»Wie war’s, wenn wir mit den wichtigsten anfangen, Mr. Machia?«
Auch Joel Goldenberger grinste. »Die Höhepunkte, wenn Sie so
wollen.«
»Die Höhepunkte …« Machia schürzte die Lippen. »Nun … Mord. Zwei
Morde sogar. Versuchter Mord, bewaffneter Raubüberfall, Einbruch,
Zinswucher, Drogenhandel, Autodiebstahl …«
»Das reicht schon, Mr. Machia. Sie hatten Recht, die Liste ist
lang. Dann lässt sich also sagen, dass Sie eine ganze Zeit lang das
Gesetz gebrochen haben?«
»Ziemlich genau ab dem Zeitpunkt, an dem ich gelernt habe, mit der
Gabel zu essen.« Louis Machia nickte gedankenverloren.
»Und diese Verbrechen«, fuhr Goldenberger fort, »das sind alles
Dinge, die Sie völlig selbstständig geplant und ausgeführt
haben?«
»Manchmal, Mr. Goldenberger, wenn ich richtig verstehe, worauf Sie
hinauswollen. Andere Male wurde mir gesagt, ich soll sie
begehen.«
»Gesagt?«
»Befohlen, Mr. Goldenberger.« Machia nahm einen Schluck Wasser.
»Vom Klan.«
»Der Klan.« Goldenberger trat auf den Zeugen zu. »Habe ich also
Recht mit der Behauptung, dass Sie etwa während der letzten zwanzig
Jahre ein Mitglied des organisierten Verbrechens waren?«
»Mit dieser Behauptung haben Sie sehr wohl Recht, Mr. Goldenberger.
Ich war Soldat. Im Guarino-Klan.«
»Der Guarino-Klan. Euer Ehren, mit Ihrer Erlaubnis würde ich den
Geschworenen gern ein Beweisstück zeigen.«
Einer der Assistenten des Staatsanwalts stellte vor den
Geschworenen einen großen, mit Fotos gespickten Karton auf die
Staffelei. Sie zeigten einen pyramidenähnlichen Stammbaum mit
ungefähr fünfzig Gesichtern: unten die Soldaten, darüber die
Captains und ganz oben die Anführer. Und dort hing Cavellos
Gesicht, unter der Überschrift »Boss«.
»Ist dies die aktuelle Darstellung des Guarino-Klans, Mr.
Machia?«
Machia nickte. »Ja. Zum Zeitpunkt meiner Verurteilung.«
»Und das dort sind Sie, oder? Dort links, bei denjenigen, die als
Soldaten geführt werden.«
Er lächelte freundlich. »Es ist ein altes Bild. Nicht mein bestes.
Aber ja, das bin ich.«
»Tut mir leid, Mr. Machia, das nächste Mal werden wir ein aktuelles
nehmen. Mich interessiert, ob Sie immer ein Soldat in diesem Klan
waren, Mr. Machia, oder mussten Sie sich hocharbeiten?«
»Jeder muss sich hocharbeiten. Ich kam über meinen Onkel Richie
dazu. Ich fing mit kleineren Aufträgen an. Geld abholen, ein Auto
klauen. Ein Einbruch.«
»Einbruch – was mussten Sie denn bei einem Einbruch tun?«
»Manchmal jemandem eins überbraten, damit er die Engel singen
hört.«
Wieder wurde im Gerichtssaal gekichert.
»Und dann sind Sie aufgestiegen«, drängte Goldenberger. »Ich meine,
von dem Kleinkram wie den Leuten eins überbraten zu ernsthafteren
Verbrechen, die Sie gestanden haben. Mord, Mordversuch,
Drogenhandel …«
»Ich bin aufgestiegen.« Machia nickte. »Das einzige Mal, dass ich
es je zu was gebracht habe«, meinte er mit einem schiefen
Lächeln.
Richterin Seiderman beugte sich vor. »Bitte beantworten Sie die
Fragen des Staatsanwalts, Mr. Machia.«
»Danke, Euer Ehren.« Goldenberger warf einen Blick auf seine
Notizen. »Ich möchte noch einmal darauf zurückkommen, wie Sie
befördert wurden, Mr. Machia. Von einem normalen Mitarbeiter zu
einem Soldaten. Wenn ich mich nicht täusche, heißt das, zu einem
Soldaten ›gemacht‹ werden, oder?«
»Sie meinen die Zeremonie? Die fand im Melucchi’s auf der Fiatbush
Avenue statt. Dort gibt es ein Hinterzimmer, wovon ich nichts
wusste. Ich wurde gebeten, einen der Captains zu fahren. Frankie,
die Briefmarke. Den haben wir so genannt, weil es zwei Frankies
gab, und Frankie, die Briefmarke, war auf Postbetrug spezialisiert.
Ich dachte, es wäre nur ein Treffen. Alle von den Captains waren
da, auch Mr. Cavello.«
»Mit Mr. Cavello meinen Sie Dominic Cavello? Den Angeklagten? Er
war dort? Bei diesem Treffen?«
»Natürlich war er da. Er war der Boss.«
Der Staatsanwalt ließ das Wort »Boss« im Gerichtssaal einen Moment
wirken. »Darauf kommen wir später noch zurück«, sagte er
schließlich. »Im Augenblick interessiert mich eher, wie Sie zu
dieser Zeremonie kamen.«
»Wie ich zu dieser Zeremonie kam?« Machia zuckte mit den Schultern.
»Mit einem Lincoln, glaube ich.«
Diesmal brach der Gerichtssaal in volles Lachen aus.
»Ich meinte, womit Sie sich diese Zeremonie verdient hatten, Mr.
Machia«, übertönte Goldenberger das Lachen. »Bei der Sie befördert
wurden.«
»Ach so.« Machia lehnte sich zurück und nahm gemächlich einen
Schluck von seinem Wasser. »Ich hatte Sam Greenblatt vor seinem
Haus umgebracht.«